Die altersschwache Jalousie der überteuerten Altbauwohnung eines nördlich der Mitte gelegenen Berliner Stadtteils klappert furchteinflössend unter dem aktuellen Tiefdruckgebiet. Ein misstrauischer Blick aus dem Fenster untermauert die Befürchtung zum Tagesablauf: Thermoskanne und Aigle-Gummistiefel werden den Tag dominieren. Komisch, dass man ausgerechnet an diesen Tagen immer Reitstunden mit Offenstallern ohne Halle vereinbart hat – oder? Wohlwollend den ersten Kaffee einschenkend registriert man die leere Milchkanne in der Kühlung (und Schwarz geht nun mal nur an Kleidern, den kurzen…). Nach der kompromisslosen Wanderung des genannten Gebräus in den Ausguss, was leise von Wutschnauben untermauert wird, fliegen Mobiltelefon, ein notdürftig belegtes Brot und Pylonen in den Einkaufskorb und die Tür fällt lautstark ins Schloss.
Vor die Tür getreten begrüßt uns ein regenbogenfarbener Fleck auf dem Asphalt, welcher jedoch weder auf eine ausrichtungsoffene Tanzveranstaltung hinweisen noch den Tag bunt machen soll, sondern lediglich an den defekten Tank erinnert, welcher dringend zum Schrauber gehört (im Urlaub). Statt über Palmen nachzudenken holen wir uns einen kühlen Schauer in den Nacken, da der Hollerbusch im Hinterhof sich mal wieder in der Bulli-Schiebetür verfangen hat und sich beim Öffnen die Tropfen aus den Blättern schüttelt. Ein Hoch auf innerstädtische Begrünung! Dennoch: Aufbruch zum Unterricht. Kneifen ist schließlich für Anfänger.
Die häufig dienstlich wie privat genutzte Nordberliner Verkehrsader macht ihrem Ruf nach Verstopfung alle Ehre. Die Kombination aus Brötchen kauen, VW-Bus lenken und Smartphone-Telefonie sorgt für unruhige Fahrspuren. Das stets offene Fenster macht immerhin sympathische Sozialkontakte zu anderen Fahrern möglich:
„Frollein, hammse noch alle Tassn im Schrank?“
„Sicher, wollnse mal rinkieken????“
(Nee, ick bin Brandenburgerin, kanns aba glaubwürdig nachstellen…) Momente, wo man sich freut, sich doch GEGEN die Domain auf dem Heck entschieden zu haben …
Ein nur kurzer Halt bei den eigenen Ponys soll den Tag versüßen. Die pitschnassen Gestalten, nur unwillig auf dem Paddock entgegenkommend, halten niederschlagsbedingt die Ohren flach. Zumindest lassen sich beide widerstandlos aufhalftern. Sicher wissen sie, dass witterungsbedingt keine entscheidenden Arbeitseinheiten folgen können – außer Handarbeit …
Am Ausgang rüsseln alle Weidekolleginnen, wam- wie vollblütig, hämisch hinterher. Die eigenen Huftiere stutzen: so ein schmackhafter, trockener, aromatischer Heuballen (erster Schnitt) wäre weiterhin die beste Wahl. Nicht jedoch für sie – Frau hat ja nur zwei Hände (auch wenn sie immer anders tut) – besetzt mit den eigenen Fellgesichtern. Am Koppelausgang parkt das braune Pony – flankiert von unflätigen Tiernamen. Überrascht über die eigene Armlänge (das eine Tier zieht nach Osten, das andere nach Westen, von Süden traben interessierte Shettys mit adipösen Fohlen bei Fuß heran…), benutzt die Ponybesitzerin Kraftausdrücke (Kamel, Esel, Ponyratte et al).
Das Entkrusten der unkooperativen kleinen Pferde kommt einer Fangopackung gleich (wer braucht sowas eigentlich an den Handinnenflächen?). Nachdem binnen 20 Minuten Handarbeit (zehn je Pony, man soll ja aufhören, wenn es am schönsten ist) einmal der Stiefel im Matsch während der Traversale bei X steckenblieb (Seitengänge gehen ja auch in Strümpfen) und das Handy mit dem Display nach unten den Reitplatz küsste, werden die beiden wieder freigelassen. Wozu hat man denn, im schönsten Annoncen-Jargon, „wetterfeste Reitbeteiligungen“? Eben… In liebloser Abkehr am Paddockeingang galoppieren beide zum Unterstand. In einem Cartoon hätten sie den Heuballen als Ideen-Bubble über dem wippenden Mähnenkamm (erster Schnitt, wohlriechend und langstielig, ist klar).
Nach einem beherzten Sprung in die beschlagene Fahrerkabine des VW-Bus – Gummistiefelprofilsohlen-Pfützen im Fußraum machen es möglich – geht es weiter. Der Blick durch die 10×10 cm freigewischte Scheibe ermöglicht hier das fokussierte Fahren. Ablenkung beim Autofahren soll ja nicht sein. Richtig?
Kurz vor Ankunft ein Anruf des ersten Reitschülers: „Tut mir ja sagenhaft leid, aber die Grippe… ja, ich dachte vorhin noch…bin auch im Stall, aber…“ „Nein, nein, das macht alles gar nicht, kurier Dich! Ich wollte ohnehin den Wocheneinkauf machen!“ … Aus der Not eine Tugend machend, geht der Schlenk zu einer Filiale der Gebrüdern Albrecht. Etwas verwundert über den leeren Parkplatz brauchen wir wenige Sekunden an der Eingangstür des verdunkelten Discounters, um zu kombinieren, dass weder der Krieg noch die Inventur ausgebrochen ist, sondern Berlin und Brandenburg bisweilen in den Feiertagen variieren. Hach! Grenzüberschreitende Freiberuflichkeit ist toll und sooo flexibel! Der Niederschlag hat inzwischen zugenommen.
Da nun inzwischen auch alles egal ist, trösten wir uns mit einem überdimensionierten Milchkaffee an der nächstbesten Tankstelle. Die Bekleidung, welche im Shop eine immer größer werdende Pfütze unter sich bildet zieht sogar mitleidige Blicke der Stammgäste auf sich, welche im Séparée nebenan nicht dem Koffein zusprechen, sondern längst zu Hochprozentigem übergegangen sind. Anteilnahme ist etwas Feines, oder wie Nietzsche sagte: „Mitleiden ist zudringlich!“
Eine halbe Stunde später kullern Bus & Reitlehrerin die Einfahrt des nächsten Hofes hinauf, um dann heute doch noch einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen. Das große Warmblut soll an der Lastaufnahme arbeiten und die Reiterin störungsfreier sitzen – soweit der Auftrag. Beim Smalltalk vor dem Aufsteigen eine kurze Korrektur der Position des Reithalfters, was ein Tasthaar in Mitleidenschaft zieht (besser: ausreißt). Das sensible Tier (Abstammungsnachweis sparen wir uns an dieser Stelle, das kann nun eigentlich nur falsch werden) schnobert betroffen und soll den Lehrkörper (hier: Singular) die restliche Stunde nur noch auf drei Meter Abstand heranlassen. Gut – die Körperarbeit für die Sitzausbildung wird dann verschoben. Didaktische Flexibilität gehört schließlich zu den Grundkompetenzen. Auf der angrenzenden Koppel beginnen junge Wallache das Haschespielen und Decke-Klauen. Unser Warmblut (naja, ein bisschen Trakehner war drin, das kann man ja zugeben) nimmt dies zum Anlass die Lastaufnahme ganz zu lassen (vielleicht hiess es ja auch Lasst-Aufnahme? Egal.) und wie ein Blitz drei Runden um das Viereck zu schiessen. Die Reiterin, inzwischen etwas grün um die Nasenspitze, pausiert kurz am hingegebenen Zügel. Deren Hund nimmt die kurze Ablenkung durch den Konkurrenten Pferd zum Anlass, ein Loch auf der Mittelinie zu graben (ist schon etwas tiefer geworden…). Da dies leider aus der Ferne – vor uns – durch teuer bekleidete Sportreiter registriert wurde, soll ein Donnerwetter zu Platzregeln und Sehnenschäden und Tiererziehung und… folgen. Den Betroffenen miemend scharren zwei Menschen die Kuhle wieder zu und danken beflissen „für die hilfreichen Hinweise“. Entschlossen, die Reitstunden künftig auf eine menschenleere Waldlichtung zu verlegen, beenden wir die Einheit nach einigen Tempiwechseln im Trab. Mehr Last muss man nun heute wirklich nicht mehr auf sich nehmen…
Zum Tage passend lahmt das dritte Reitschülerpferd des Tages. Da dies die Aussicht auf ein zeitigeres Wannenbad verheißt, springen wir ein weiteres Mal – diesmal frohen Mutes – in den VW-Bus, welcher diesmal erst beim zehnten Versuch anspringen soll. Das Licht geht einem bei einem Fast-Oltimer eben erst manchmal dann auf, wenn man zu diesem zurückkehrt und man ihn strahlen sieht, nicht wahr? Auf dem nördlichen Berliner Ring ist plötzlich alles rot: Rückstau, welcher sich bis zum Zubringer ziehen soll. Die Heimfahrt soll sich nun auf das Dreifache verlängern. Vielleicht schwimmen nicht direkt die Felle weg – aber zumindest das erträumte Wannenbad in weite Ferne. 19:30 Uhr zu Haus im Flur: die traurige Erkenntnis, dass das ganztägige Tragen eines Basecaps und Kapuze den Tag als Bad-Hair-Day abschließen lässt. Eigentlich wollten wir ja ausgehen. Aber so ist das natürlich … Schluss jetzt!!!!
PS: Irgendwann kommt noch eine realistische Gegendarstellung! :-)
6 Kommentare